Wir laden am 8. Mai zu einem antifaschistischen Spaziergang durch die Stadt ein. Um 17 Uhr wollen wir uns am Brandplatz (beim alten Schloss) treffen, um verschiedene geschichtsträchtige Orte zu besuchen.
Tag der Befreiung
Der 8. Mai gilt als Tag der Befreiung - als der Tag, an dem 1945 Deutschland bedingungslos kapitulierte und der als Ende des deutschen Faschismus angesehen wird.
Die Befreiung, so wie wir sie betrachten, stellt allerdings nur eine Befreiung für die Menschen dar, die unter den Nazis zu leiden hatten: für die Verfolgten, Gefolterten, Inhaftierten und Deportierten.
Denn von einer Befreiung der gesamten deutschen Zivilbevölkerung zu sprechen, würde eben diese von jeglicher (Mit-)Schuld freisprechen. Des Weiteren begriffen viele Menschen das Ende des Krieges und des Faschismus als Niederlage. Zwar ist die Begründung, dass der Krieg auch die deutsche Zivilbevölkerung getroffen habe, erst einmal richtig, allerdings wird hierbei oftmals der Eindruck vermittelt, es handele sich um unschuldige Opfer.
Die Konstruktion einer unschuldigen Zivilgesellschaft ist nicht nur eine Verharmlosung, sondern
schlicht falsch. Ein solch logistischer Aufwand, wie ihn die Deportationen und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung darstellte, wäre niemals ohne die Mithilfe von Zivilist_innen möglich gewesen. Diese Niederlage wurde demnach nicht nur als Niederlage des Naziregimes begriffen, sondern auch als eine persönliche - als Teil von Deutschland.
Wieso dann Befreiung?
Dass wir dennoch die Befreiung als solche feiern, begründen wir damit, dass das Ende des Krieges für viele Menschen das Ende der Bedrohung und Verfolgung bedeutete. Die Tatsache, dass ein anderer Ausgang des Krieges auch Auswirkungen auf weitere geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen und somit in letzter Konsequenz auf alle folgenden Generationen gehabt hätte - die wir uns gar nicht ausmalen wollen - ist für uns ein Grund diesen Tag als Anlass zu nehmen, die Kapitulation Deutschlands zu feiern.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Erinnerungspolitik in Gießen sowie in der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Und wenn es nun wieder von allen Seiten tönt, es müsse endlich einmal Schluss sein, die Geschichte sei zur Genüge aufgearbeitet, kann es nur heißen:
Deutschland, halt’s Maul!