Wir
unterstützen den Aufruf „20
Jahre nach den Pogromen – Das Problem heißt Rassismus“ und
rufen dazu auf auch aus Mittelhessen am 25. August nach Rostock zu
fahren um an der bundesweiten, antirassistischen Demonstration
anlässlich der 20. Jahrestage der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen teilzunehmen.
Am vergangenen Samstag ist es unterdessen in Bremen zu einem rassistisch-motivierten Brandanschlag gekommen. Wir erklären uns daher solidarisch mit den Betroffenen (http://03august.blogsport.de/).
Am vergangenen Samstag ist es unterdessen in Bremen zu einem rassistisch-motivierten Brandanschlag gekommen. Wir erklären uns daher solidarisch mit den Betroffenen (http://03august.blogsport.de/).
Im Folgenden der besagte Aufruf:
20 Jahre nach den Pogromen - Das Problem heißt Rassismus
Vor 20 Jahren eskalierten im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen
die Angriffe eines rassistischen Mobs auf die Zentrale Aufnahmestelle
für Asylsuchende und eine benachbarte Vertragsarbeiter_innen-Unterkunft
zum größten Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte.
August 1992 Rostock Lichtenhagen
Über drei Tage griffen mehrere hundert Menschen die Unterkünfte der
Flüchtlinge und Vertragsarbeiter_innen mit Steinen und Molotow-Cocktails
an. Unter den Angreifer_innen befanden sich organisierte und nicht
organisierte Nazis, Jugendliche, Anwohner_innen begleitet von tausenden
sog. Schaulustigen. Eine Volksfeststimmung entstand auf den Wiesen im
Rostocker Neubauviertel, dies weitgehend unbehelligt von der Polizei.
Rostocker und zur Unterstützung angereiste Antifaschist_innen befanden
sich in der Unterzahl. Teilnehmer_innen einer antifaschistischen
Demonstration wurden über Nacht in Gewahrsam genommen. Am dritten Tag
des Pogroms setzten die Angreifer_innen den von vietnamesische
Vertragarbeiter_innen bewohnten Teils des Gebäudes in Brand. Zu diesem
Zeitpunkt befanden sich etwa 100 Menschen in dem Haus. Während die
Täter_innen weiter – unter dem johlenden Beifall von tausenden
Anwohner_innen – mit Baseballschlägern in das Haus eindrangen, flohen
die im Haus befindlichen Menschen über die Dächer in angrenzende
Gebäude. Die Polizei hatte den Tatort dem Mob überlassen und die
Feuerwehr wurde an der Durchfahrt gehindert.
Als Reaktion auf die Ereignisse fand am folgenden Wochenende unter
massiven Polizeiaufgebot eine antifaschistische Demonstration mit 20000
Teilnehmer_innen unter dem Motto „Stoppt die Pogrome. Solidarität mit
den Flüchtlingen. Bleiberecht für alle.“ statt.
Politische Brandstiftung und rassistische Alltagskultur
Rostock Lichtenhagen ist jedoch kein Einzelfall, sondern ein
trauriger Höhepunkt einer rassistisch aufgeladenen Stimmung Anfang der
Neunziger Jahre im wiedervereinigten Deutschland: „Das Ausmaß
rechten Terrors in den ersten Jahren nach der Wende und dessen
Unterstützung durch große Teile der Bevölkerung und der politischen
Eliten erscheint kaum fassbar: 17 Tote, 453 zum Teil schwer Verletzte
und über 1900 gewalttätige Anschläge allein von 1989 – 1992“, zählt
der Journalist Matthias von Hellfeld. Im Jahr des Rostocker Pogroms
1992 gab es acht Sprengstoff- und 545 Brandanschläge, meist auf
Flüchtlingswohnheime. Seit 1985 forderte die CDU/CSU eine Einschränkung
des individuellen Grundrechts auf Asyl. Nach der Wiedervereinigung
begannen CDU und CSU mit einer verschärfenden Kampagne für eine
Veränderung des Grundrechts auf Asyl. Assistiert vor allem durch
Boulevardmedien wurde eine Bedrohung Deutschlands durch eine „Flut“ von
„Schein- und Wirtschaftsasylanten“ inszeniert, die angeblich das
Grundrecht auf Asyl „missbrauchen“ und „den Deutschen auf der Tasche
liegen“ würden.
19 Jahre Abschaffung des Grundrechts auf Asyl
Diese rassistische Kampagne erfuhr offene Zustimmung zahlreicher
Bürger_innen. Diese pogromartigen Ausschreitungen wiederum wurden als
Beleg genutzt, um politisch zu handeln und das Grundrecht auf Asyl
einzuschränken. Die Änderung des Grundgesetzes im Mai 1993 unter
Zustimmung der SPD als Oppositionspartei und die darauf folgende
Einführung des sog. Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 bestätigte die
Gewalttäter_innen und Mörder_innen in ihrem Handeln. Die
Gesetzesänderungen enthielt die sog. Drittstaatenreglung; seitdem können
sich nur noch Menschen auf das Asylrecht berufen, die politisch
verfolgt sind und nicht aus einem "sicheren Drittstaat“ oder anderen
Ländern der EU einreisen. Im Rahmen dieser Gesetzesänderung kommt es zu
vielen weiteren menschenverachtenden Einschränkungen. Dazu zählt das
Asylbewerberleistungsgesetz, welches Asylsuchenden weniger Geld zur
Verfügung stellt als heute HartzIV-Regelsatz ist; das Gutscheinsystem
für Lebensmittel, die Unterbringung in Lagern und die Auflage sich nur
in einem behördlich festgelegten Bereich aufzuhalten (Residenzpflicht).
Kein Ende der Nazi-Morde
Die folgenden Jahre bescheren eine unsägliche bundesdeutschen Debatte
über die Nazi-Szene wie den verirrten Seelen“, „Vereinigungsverlierern“
und ihrem „Schrei nach Liebe“ abgeholfen werden könnte. Der Rassismus
und die Nazigewalt wurden auf ein Problem der ostdeutschen
„Beitrittsländer“ und Jugend reduziert, welches mit verstärkter
Sozialarbeit bekämpft werden sollte. Die Millionen, die in die Programme
flossen, sorgten für weitere Formierung einer gewalttätigen Nazi-Szene
in ganz Deutschland und dem Aufwuchs zunehmend gut organisierter
Kameradschaften. Vor allem in den Ostdeutschen Bundesländern fand bis
Mitte der Neuzier Jahre ein Kampf um die Straße statt. Wöchentlich
wurden linke Jugendzentren und Clubs von Nazis angegriffen, ganze
Viertel mussten gegen Nazis verteidigt werden. Gerade in ländlichen
Regionen ist es zum Teil Rechten gelungen, solche Angsträume zu
etablieren.
Nicht nur Menschen, die nicht deutsch erscheinen,
sondern auch jene, die nicht ins rechte Weltbild passen, geraten in den
Fokus der Gewalt. Die Aufdeckung der rassistischen Mordserie mit bislang
10 bekannten Opfern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU)
zeigt deutlich, wie ignorant und verharmlosend der Staat rassistischen
Gewalttaten begegnet. In dem nach „milieutypischen Auseinandersetzungen
unter Migranten“ ermittelt wurde und fast alle Medien von „Dönermorden“
berichten. Seit 1990 sind mehr als 180 Menschen von Nazis ermordet –
weniger als ein drittel der Todesopfer sind durch die Bundesregierung
anerkannt.
Europäische Abschottungspolitik
Die rassistische und restriktive BRD-Asylpolitik hat sich im Zuge der
EU-Erweiterung an die europäischen Außengrenzen ausgedehnt und gehört
zu den deutschen Exportschlagern. Seit 2004 wird Europa von der eigens
dafür gegründeten Agentur Frontex gegen illegalisierte Migrant_innen
mit militärischen Mitteln verteidigt. Diese ergänzt und erweitert die
nationalen Kontrollsysteme, die auf Abschreckung und Kriminalisierung
der Migrationsbewegungen zielen. Seit 1993 sind mindestens 16.000
Menschen an den Grenzen Europas gestorben – von einer höheren
Dunkelziffer ist auszugehen.
Unsere Antwort: Solidarität!
Rassismus und andere Herrschaftsmechanismen sind nicht auf Nazis
abzuwälzen, sondern entspringen der sogenannten Mitte der Gesellschaft.
Wir wollen in einer Gesellschaft ohne Rassismus, Faschismus, Sexismus
und andere Herrschaftsverhältnisse leben. Eine Gesellschaft ohne Staat
und Nation, in der es keine Grenzziehungen gibt, in der die Menschen
solidarisch mit einander leben.
Jedoch bewegen wir uns in einem System, welches den Logiken des
Marktes und Konkurrenz folgt, soziale Ausgrenzung marginalisierter
Gruppen ist diesem inhärent und ein anerkanntes
Unterdrückungsinstrument. Der Widerspruch zwischen der Forderung nach
einer herrschaftsfreien Gesellschaft und gleichzeitigen Appellen an den
Staat ist uns bewusst, aber wir können nicht hinnehmen, dass Rassismus
und Nazigewalt weiterhin verschwiegen, verharmlost oder nicht als solche
(an)erkannt werden. Wir fordern Rassismus beim Namen zu nennen. Dies
bedeutet auch die Anerkennung und Unterstützung der Betroffenen von
Diskriminierung und Rassismus. Wir fordern die offizielle Anerkennung
der Todesopfer neonazistischer Gewalt. Wir fordern die Einrichtung einer
staatsunabhängigen Beobachtungsstelle für Nazi-Umtriebe. Wir fordern
die Abschaffung der Ämter des Verfassungsschutzes. Wir fordern die
dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen. Uneingeschränktes Bleiberecht
für alle!
Weg mit der Residenzpflicht!
Keine Abschiebungen! Asylknäste zu Baulücken!
Gleiche Rechte für alle!
Deshalb kommt am
25.8.2012 nach Rostock, um mit uns gemeinsam den Betroffenen von
rassistischer und neonazistischer Gewalt zu gedenken und für eine andere
Gesellschaft einzutreten!