20.04.12

Bericht: Antifaschistische Demonstration in Lollar


Unter dem Motto: "Das Problem heißt Rassismus. Antifaschistisch denken, handeln, leben." zog am Samstag, 14.04.2012, eine Demonstration mit 250 Teilnehmer*innen durch das mittelhessische Lollar. Aufgerufen hatten das Bündnis gegen Rechts Gießen und die Gießener Antifa R4.
Die Demo startete am Bahnhof Lollar, zog von dort zum Rathaus und über den Kirmesplatz und wurde schließlich am Bahnhof beendet. Der Großteil der Demonstrierenden war zuvor angereist, doch auch in Lollar selbst schlossen sich viele Passant*innen dem Zug an. Die Inhalte der Demo wurden mittels Flugblättern an interessierte Passant*innen kommuniziert. Insgesamt war das Echo im Ort auf die Demo größtenteils positiv.


Zu Beginn der Demo wurde der Aufruf verlesen um auf die lokalen Nazistrukturen hinzuweisen, die der Grund für die Demo in Lollar waren. So kam es in der jüngeren Vergangenheit zu Schmierereien mit deutlichem NS-Bezug an der ezidischen Gemeinde in Lollar und auf einem jüdischen Friedhof. Weitere Schmierereien gab es auf Friedhöfen im Umland von Lollar. Zusätzlich wurde auf die Organisierungsversuche der Nazis vor Ort eingegangen. Ab 2008 traten Menschen mit T-Shirts mit dem Aufdruck „Division Mittelhessen“ in der Öffentlichkeit auf. Die Aktivitäten dieser Kameradschaft gingen jedoch nicht weit über das Tragen jenes T-Shirts hinaus. Lediglich 2008 und 2010 wurden Mitglieder der „Division Mittelhessen“ auf Nazi-Demos in Fulda und Dresden gesehen. Anders jedoch die 2010 gegründeten „Freien Nationalisten Lumdatal“, die personell weitgehend identisch mit der „Division Mittelhessen“ sind. Die FN Lumdatal druckten eigene Aufkleber und richteten eine Homepage ein. Diese ging jedoch nach einem Outing durch Antifaschist*innen bei dem Betreiber wieder offline. Das ebenfalls von den FN Lumdatal gegründete NationalVZ diente einigen Nazis zur Vernetzung und zur Verabredung zu Stammtischen oder gemeinsamen Anfahrten zum „Wandertag der deutschen Jugend“ und anderen Nazimärschen. In ihren Redebeiträgen ging die Antifa R4 auf zwei Ebenen des Rassismus ein, einen sozialisierten gesellschaftlich-ausschließenden und einen staatlichen institutionell-repressiven Rassismus. Beide Beiträge sind untenstehend archiviert.
Während und nach der Demo kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen. Das Medienecho war zwar positiv - sowohl die Lokalzeitungen als auch der Hessische Rundfunk berichteten - trotzdem ist darauf hinzuweisen, dass die Demo sich nicht gegen den „Nationalsozialismus“ richtete, wie verschiedentlich berichtet, da dieser Begriff vor allem historisch besetzt ist.




1. Redebeitrag
Rassismus und ausgrenzendes Verhalten oder diskriminierende Äußerungen sind kein Problem was ausschließlich am rechten Rand zu verorten ist, sondern in weiten Teilen der sogenannten Mitte der Gesellschaft verbreitet ist. Ob es Angst oder Ablehnung gegen das „Andere“ oder „Fremde“ ist, die Gründe können vielschichtig sein. Auch sind solche Äußerungen mitunter unreflektiert und ohne ein Bewusstsein, dass hierbei Menschen ausgegrenzt werden.
Die Hautfarbe oder Herkunft einer Person scheint gegenwärtig ein unerlässlicher Charakterzug zu sein, der bei verschiedensten Gelegenheiten deutlich hervorgehoben wird. Unabhängig von der vermeintlichen Notwendigkeit wird ausschließlich auf eine nicht-deutsche Herkunft hingewiesen. Diese einseitige Betonung schürt zusätzliche Ressentiments.
Der oft beschworene rechte „Rand der Gesellschaft“ ist hierbei nicht so deutlich von der so genannten Mitte der Gesellschaft abgegrenzt. Zu fließend sind die Übergänge. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die NPD mit ihren Parolen von kriminellen Ausländern in der sogenannten Mitte der Gesellschaft teils Zuspruch findet. Auch die von Thilo Sarrazin ausgelöste Debatte zeigte ein rassistisches Potential in der Gesellschaft. Die Debatte konnte weite Kreise ziehen, da Sarrazin aufgrund seiner Parteizugehörigkeit nicht von vorn herein als Rassist abgestempelt werden konnte. Was als Tabubruch gefeiert wurde, ist eine gesellschaftliche Realität die Menschen tagtäglich zu spüren bekommen: Vorurteile, stereotype Zuschreibungen und die daraus resultierende Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft. Also blanker Rassismus.
Es reicht also nicht aus, sich bei Naziaufmärschen dem offensichtlichen Rassismus entgegenzustellen. Genauso notwendig ist es das eigene Denken und Handeln zu reflektieren, denn rassistische Verhältnisse werden von allen Menschen tagtäglich reproduziert.

Einer Auseinandersetzung des eigenen Handelns, diskriminierenden oder ausgrenzenden Verhaltens wird oftmals eine Absage erteilt, in dem Antifaschismus die Gesellschaftsfähigkeit abgesprochen wird. Unter dem Kampfbegriff „Extremismus“ soll die politische Legitimität abgesprochen werden und mittels der unsäglichen Extremismustheorie, wird die politische Welt nur in Gut und Böse zu teilen versucht. Das Böse soll hiernach der Extremismus sein, zwischen dem sogenannten Rechts- und Linksextremismus wird weiter nicht unterschieden. Das Gute hingegen stellt demnach die gesellschaftliche Mitte dar, welche der demokratische Verfassungsstaat mit seiner Mehrheitsgesellschaft darstellt.
Dass es so einfach dann doch nicht ist, sollte jedem Menschen aufgehen, der sich mit der Geschichte und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhälnissen beschäftigt.
Ein konsequenter Antifaschismus ist notwendig, nicht nur um Nazis und ihre Strukturen aufzuzeigen sondern auch um den beschriebenen gesellschaftlichen Missständen entgegenzuwirken. Antifaschismus ist mehr als der bloße Gegenpart eines menschenverachtenden Weltbildes. Antifaschismus eröffnet die Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausgrenzung.



2. Redebeitrag
Antifaschistisch denken, handeln und leben bedeutet zunächst die eigene Person, Gedanken und Überzeugungen in Frage zu stellen. Nazis sind die am deutlichsten sichtbare Form des alltäglichen Rassismus. Ihre auf Gewalt basierende politische Ideologie und Praxis bedeutet für Menschen, die nicht in ihr rassistisches, menschenverachtendes Weltbild passen, täglich eine enorme Bedrohung.
Doch auch außerhalb neonazistischer Zusammenhänge sind rassistische Stereotype und Einstellungen verbreitet. Die Angst vor dem vermeintlich „Fremden“ prägt immer noch das gesellschaftliche Klima in Deutschland.

Ständig werden Menschen in Deutschland aufgrund ihres Aussehens kontrolliert. Bei Kontrollen an Bahnhöfen ist es mitunter auffällig, dass fast immer die Personen einer Ausweiskontrolle unterzogen werden, die nicht in das Raster „normaler Deutscher“ passen. Meistens liegt dies allein an der Hautfarbe. Überdies hat das Koblenzer Verwaltungsgericht jüngst entschieden, dass diese Praxis seitens der Polizei in Deutschland rechtens ist. Geklagt hatte ein Betroffener, welcher die Kontrolle wegen des diskriminierenden Charakters verweigerte. Seine Klage wurde abgewiesen, rassistische Kontrollen hingegen sind nun gerichtlich bestätigt.
Zwei Fälle rassistischer Justiz haben in verschiedenen Teilen Deutschlands in den letzen Jahren besonders hohe Wellen geschlagen:
Der in Bremen unter dem Verdacht des Drogenhandels festgenommene Layé Alama Condé starb in Folge eines unsachgemäßen Einsatzes von Brechmitteln, die ihm gegen seinen Willen eingeflößt wurden. Er starb am gleichen Tag wie Oury Jalloh, am 7.1.2005. Oury Jalloh verbrannte im Polizeigewahrsam in Dessau, er war gefesselt und an der Wand fixiert. In Bremen wurde der für den Brechmitteleinsatz verantwortliche Arzt freigesprochen, der Prozess im Fall Jalloh wird bis heute verschleppt.  Das größte Problem was die deutschen Behörden im Falle des Todes von Oury Jalloh zunächst hatten, war das engagierte Antirassit*innen und Antifaschist*innen in Bezug auf diesen Vorgang von Mord redeten, was ihnen dann auch zunächst verboten wurde. Noch drastischer reagierte die Polizei bei der Gedenkdemo für Oury Jalloh in Dessau Anfang diesen Jahres. Bei dem Versuch ein Transparent mit der Aufschrift „Oury Jalloh das war Mord" zu beschlagnahmen verletzte sie Demoteilnehmer*innen teilweise so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Im Fokus der Behörden stand also vor allem die juristische Verfolgung der antirassistischen und antifaschistischen Initiativen, statt der Klärung des Vorfalls, der ein Todesopfer zu Folge hatte. Der nächste Prozesstermin im Fall Jalloh ist am 18.04. um 13 Uhr vor dem Landgericht Magdeburg.
Nicht nur innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik, auch in der europäischen Flüchtlingspolitik ist Deutschland daran beteiligt Flüchtlinge zu diskriminieren, die Festung Europa auszubauen und die EU-Außengrenzen gegen unerwünschte Menschen abzusichern. Diese Absicherung bedeutet im Klartext den Tod von Flüchtlingen aus anderen Teilen der Welt durch Ertrinken, Verdursten, Verbluten im Stacheldraht oder in Folge des Einsatzes von Schusswaffen. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex arbeitet laufend daran die Grenzen der EU zu optimieren. Schaffen es wider erwarten doch Flüchtlinge die eigentlich unüberwindbaren EU-Außengrenzen zu passieren, so werden sie in elenden Massenunterkünften interniert und oftmals direkt wieder abgeschoben in Länder die von Kriegen zerrissen sind oder unter Diktaturen leiden. Vielen Flüchtlingen droht in diesen Ländern Hunger, Verfolgung, Folter und Tod.
Auf die mordenden Nazis aus Zwickau wollen wir hier nicht eingehen, zeigen sie doch nur zu deutlich wohin Nationalismus in seiner Konsequenz führt. Ob durch Passkontrollen, sogenannten Grenzschutz oder Bombenanschläge: Nationalismus ist tödlich.