Ob Dresden, Bad Nenndorf oder auch die Aufmärsche für den
Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß in Wunsiedel Anfang der 2000er
Jahre: sogenannte Gedenk- oder Traueraufmärsche stellen
mittlerweile einen festen und wichtigen Bestandteil
neonazistischer Erlebniskultur dar. Auch in Rheinland-Pfalz
gibt es seit Jahren Bemühungen, einen solchen Aufmarsch in
Remagen, einer Kleinstadt zwischen Koblenz und Bonn als
Szene-Event zu etablieren. Wir, das Bündnis NS Verherrlichung
stoppen!, wollen uns mit den lokalen und gesamtdeutschen
Opfermythen kritisch auseinandersetzen. Vor allem aber werden
wir dem Naziaufmarsch in Remagen entschlossen entgegentreten.
Zur gemeinsamen Zuganreise treffen wir uns am Samstag, den 23.11. um 7.00 Uhr am Gießener Bahnhof.
Die sogenannten „Rheinwiesenlager“
Am 7. März 1945 konnten alliierte Truppen
überraschenderweise die damalige Ludendorff-Brücke, heute
vielmehr als „die Brücke von Remagen“ bekannt, einnehmen. Eine
von Wehrmachtssoldaten durchgeführte Sprengung missglückte,
die Brücke hielt vorerst stand. Die Einnahme der Brücke
ermöglichte den amerikanischen Truppen und beteiligten
belgischen und britischen Soldaten den ersten Vorstoß über den
Rhein und damit ins Zentrum Nazi-Deutschlands. Darauf folgende
Siege der Alliierten und schlussendlich die Kapitulation
Nazi-Deutschlands am 08. Mai 1945 stoppten die
nationalsozialistische Mordmaschinerie. In Folge dessen
errichteten die Alliierten 18 bis 20 Gefangenenlager, die
meisten entlang des linken Rheinufers, zwischen Büderich (bei
Wesel, NRW) und Heilbronn. Diese provisorischen Einrichtungen
dienten als Sammelstelle für unterschiedliche Gefangene und
hatten die Funktion eines „Durchgangslagers“. So bestand das
sogenannte „Rheinwiesenlager“ in Remagen nur zwischen April
und Ende Juni 1945. Durch die kurzfristige Errichtung der Lager,
waren die Versorgungslage und die hygienischen Zustände
anfangs schlecht, besserten sich dann allerdings schnell. Dies muss
aber im Kontext zu den unmittelbaren Folgen des Krieges, wie
wochenlanger Unterernährung, Erschöpfung, den daraus
resultierenden Krankheiten und der allgemeinen
Versorgungsknappheit nach Kriegsende gesehen werden. Im
Remagener Rheinwiesenlager sind knapp 1200 Tote belegt, welche
auch auf Friedhöfen in der Gegend um Remagen beerdigt sind. Nach
seriösen Rechnungen sind in allen sogenannten
„Rheinwiesenlagern“ insgesamt zwischen 5.000 und 10.000
Insassen ums Leben gekommen.¹ Diese Zahl ist dabei in Relation zu
der Gesamtanzahl von etwa 1.000.000 Gefangenen zu betrachten.
Die Naziaufmärsche und das deutsche „Gedenken“
Neonazis aus der Region haben bereits vor Jahren die
sogenannten „Rheinwiesenlager“ für sich entdeckt. Ein erster,
angemeldeter Aufmarsch fand symbolisch am 08. Mai 2005 statt. In
den Jahren darauf gab es in Remagen und den umliegenden Orten
durch die Neonazis kleinere Aktionen. Seit 2009 gibt es darüber
hinaus wieder einen kontinuierlichen Aufmarsch, jeweils um den
Volkstrauertag herum.
Federführend bei der Organisation sind, neben dem
langjährigen Anmelder Christian Malcoci und Ralph Tegethoff,
vor allem Personen des Aktionsbüros Mittelrhein. Tegethoff
ist eine Führungsfigur der militanten Neonazis in Deutschland
und Chef der Kameradschaft Sturm 08/12 aus dem Raum Bonn/Siegburg.
Entscheidende Personen des Aktionsbüros Mittelrhein waren die
Führungskader Sven Lobeck aus Mülheim-Kärlich bei Koblenz und
Christian Häger aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Seitdem sich das
ehemalige Aktionsbüro Mittelrhein wegen des Verdachts auf
Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht
verantworten muss, übernehmen insbesondere Kader der
Nazi-Kleinstpartei „Die Rechte“ logistische Aufgaben. „Die
Rechte“ ist aus der nordrhein-westfälischen
Kameradschaftsszene hervorgegangen. Das Umfeld des
ehemaligen Aktionsbüros Mittelrhein tritt mittlerweile unter
dem Label „JN-Ahrtal“ als Jugendorganisation der
Neonazipartei NPD auf. Der Aufmarsch in Remagen entwickelte
sich in den letzten Jahren zu einer regelmäßigen Veranstaltung
mit 200-300 TeilnehmerInnen, und damit zum größten
Naziaufmarsch zwischen Köln und Frankfurt. Somit ist der
Naziaufmarsch in Remagen zur größten jährlich stattfindenden
Aktion der Naziszene in Rheinland-Pfalz geworden. Im Jahr 2012
bröckelte der Aufmarsch, nicht zuletzt bedingt durch staatliche
Repression gegen die militante Kameradschaftsszene in NRW und
dem nördlichen Rheinland-Pfalz, auf 160 TeilnehmerInnen.
Die Neonazis stilisieren bei ihrem Aufmarsch die
sogenannten „Rheinwiesenlager“ zu „Konzentrationslagern“
der Alliierten, in denen systematisch Deutsche ermordet worden
seien. Die von ihnen herbei halluzinierte Zahl von über einer
Millionen Todesopfern beweist schon in Relation zu der
Gesamtzahl der in den „Rheinwiesenlagern“ internierten
Gefangenen reichlich Absurdität. In bester
revisionistischer Manier, setzen sie den deutschen
Kriegsverbrechen des Nationalsozialismus und der
millionenfach begangenen administrativen Vernichtung von
Menschen einen, angeblich von Alliierten initiierten Genozid
ähnlichen Umfangs entgegen.
Dass sich die Nazis dem Thema der „Rheinwiesenlager“ annehmen
können, um dieses szeneintern als Mobilisierungspotenzial
auszuschlachten, ist logisch. Dennoch bietet die Thematik, wenn
auch nicht die Form des „Gedenkens“ durch Aufmärsche und plumpe
NS-Verherrlichung, Möglichkeiten, inhaltlich ins lokale,
bürgerliche Spektrum hinein anzuschließen. Insbesondere in
der lokalen Erinnerungskultur in den Regionen um die
„Rheinwiesenlager“ herum, ranken und nähren sich seit Kriegsende
zahlreiche Mythen um Leid und Kriegsgefangenschaft. In Remagen
konkret, bildeten sich solche Mythen rund um die von dem
NS-Bildhauer Adolf Wamper und Insassen des „Rheinwiesenlagers“
entworfene Lehmfigur „Schwarze Madonna“. Diese wird einmal
jährlich in einer Kapelle in unmittelbarer Nähe zur „Mahnung“ an
das ehemalige „Rheinwiesenlager“ ausgestellt. Das
bürgerliche Gedenken in Remagen muss dabei auch im Kontext des
bundesdeutschen Erinnerungsdiskurses betrachtet werden:
Unter dem Deckmantel von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und
humanitären Begründungen soll im Land der selbsternannten
geläuterten Erinnerungsweltmeister zunehmend auch
konstruierten deutschen Opfern gedacht werden. Die Ursache, der
deutsche Angriffs- und Vernichtungskrieg, welcher für die
Deutschen erst in Kriegsgefangenschaft mündete, wird temporär
ausgeblendet. Oft wird dabei im Endeffekt Schuld und Leid
abgerechnet, und Bomben auf deutsche Städte mit dem
industriellen Massenmord verglichen. Deutsche TäterInnen und
die damalige „Volksgemeinschaft“ werden somit nachträglich als
Opfer rehabilitiert.
23.November – Den Nazis entgegentreten! In der Provinz! In Remagen!
Wir wollen es nicht hinnehmen, dass im fünften Jahr in Folge
Neonazis in Remagen weitgehend ungestört aufmarschieren
können. Antifaschistische Gegenproteste vor Ort wurden in den
vergangenen Jahren kriminalisiert und klein gehalten.² Damit
muss Schluss sein! Wir werden am 23. November 2013 solidarisch mit
den fortschrittlichen Teilen der Zivilgesellschaft und
aktiven Nazigegnern in der Provinz dem Naziaufmarsch
entgegentreten. Gerade deshalb werden wir auch Teile des
lokalen Gedenkens kritisieren. Ohne die Reflexion der
Bedingungen und Verhältnisse, die zu deutschem Größen- und
Rassenwahn führten und als eine deren Folge die sogenannten
„Rheinwiesenlager“ entstanden, ist eine ehrliche und
schließlich emanzipatorische Auseinandersetzung mit dem
deutschen Nationalsozialismus nicht möglich.
Kommt am 23. November zur antifaschistischen Demo und
zum anschließenden Protest gegen den Naziaufmarsch in Remagen!
NS Verherrlichung stoppen! Deutsche Mythen ins Wanken bringen!
Gegen jeden Geschichtsrevisionismus!