10.05.12

8.Mai 2012 - Tag der Befreiung vom Deutschen Faschismus

Am 8. Mai 2012 beteiligten sich circa 30-40 Menschen an einem antifaschistischen Spaziergang, anlässlich des 67. Jahrestages der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, in der Gießener Innenstadt. Während dieses Spaziergangs wurde sich an vier Stationen (Kreuzplatz, Kirchplatz, Walltorstraße, Brandplatz) kritisch mit der Gießener Erinnerungspolitik auseinandergesetzt. Begonnen wurde am Kreuzplatz, wo auch die umfassendste Kritik am dortigen Denkmal zur Erinnerung an die Bombenangriffe 1944/1945 und der nachträglich installierten Ergänzungstafel geäußert wurde:

Weitere Informationen gibt es hier: erinnerungspolitik



Mittels der in den Boden eingelassenen Umrisse der Häuser wie sie an dieser Stelle vor dem Zweiten Weltkrieg standen, soll am Kreuzplatz an den Bombenangriff der Alliierten am 6. Dezember 1944 erinnert werden, bei dem Gießen zu großen Teilen zerstört wurde. Kein Wort wurde über die Gründe verloren, weshalb Gießen angegriffen wurde, kein Wort zur Vorgeschichte, zum Zweiten Weltkrieg, den die Deutschen begannen und vor Allem kein Wort zur Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen* und Juden* und Millionen anderer Opfer.  Erst aus diesem singulären Kontext aber erschließt sich sowohl die Bombardierung ganz allgemein, als auch die spezielle Intensität derselben.
Nach massiver Kritik von Antifaschist*innen 1) an der Kontextlosigkeit dieses Denkmals wurde seitens der Stadt reagiert und eine ergänzende Tafel aufgestellt. Auf dieser Tafel wird nun der Kontext der Bombenangriffe erläutert: “Vom deutschen Boden”, heißt es hier, sei der Zweite Weltkrieg ausgegangen.  Diese Formulierung zeigt in aller Deutlichkeit, wie schwer sich die Verantwortlichen in der Stadt, ganz egal welcher parteipolitischen Couleur, noch immer mit deutscher Kriegsschuld tun.
Hier wird in einem ganz klassischen Schema gehandelt: Die Benennung von TäterInnen 2) wird ganz plump umgangen und durch Konstrukte ersetzt. Es geht um die Entsubjektivierung der Kriegsschuld.
Die Botschaft des Denkmals wie es hier eingerichtet wurde ist indes klar: Die deutsche Zivilbevölkerung ist nicht schuldig, nein, vielmehr ist sie Opfer des Zweiten Weltkrieges. Deutsche Städte wie Dresden, Nürnberg oder eben Gießen wurden durch Bombenangriffe zerstört und die (angeblich unschuldige) Zivilbevölkerung musste leiden. Ohne die breite Unterstützung der deutschen Zivilbevölkerung wäre es jedoch nicht möglich gewesen Angriffskriege gegen Polen, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Jugoslawien, die Sowjet-Union, England und andere Staaten zu führen; ohne Denunziationen, die Mithilfe oder das Schweigen der Bevölkerung wären auch die Deportationen von Jüdinnen* und Juden* und anderer Opfer deutscher Rassenideologie nicht möglich gewesen.
Zu glauben, dass diese einzelne Formulierung (der Zweite Weltkrieg sei von deutschem Boden ausgegangen) ausreicht den Kontext der Bombardierung darzustellen, zeigt ein völlig verkürztes Verständnis davon, warum der Zweite Weltkrieg in einem solchen Ausmaß geführt wurde und wer dafür die Verantwortung zu tragen hat.

1) Wir verwenden in unseren Texten Gender-Gaps (*) um alle Menschen einer Gruppe zu berücksichtigen, auch solche, die sich nicht in die binäre Geschlechterordnung, also in die Kategorie “Mann” oder “Frau”, fassen lassen wollen oder können.
 
2)  In der beschworenen “Volksgemeinschaft” galt ausschließlich die binäre Geschlechterordnung. Von dieser Norm abweichende Individuen wurden aus der Gemeinschaft ausgegrenzt und verfolgt und zählen somit nicht zur Gruppe der Täterinnen oder Täter, die wir im Folgenden mit Binnen-I gendern.

Infoladen-Arbeitskreis-Erinnerungspolitik und Antifa R4 im Mai 2012