23.11.07

Giessener AStA der JLU kritisiert Gedenken der Stadt Giessen zum diesjährigen Volkstrauertag

Letzten Sonntag, am 18.11.2007 wurde in Giessen und anderen deutschen Städten der Volkstrauertag begangen (die Giessener Allgemeine berichtete). Zahlreiche Redner und unterschiedliche Schauplätze in der Stadt und dem Kreis Giessen waren Teil „der Gedenkfeiern an die Opfer der beiden Weltkriege“ (Giessener Allgemeine Zeitung vom Montag, 19.11.2007). Unter den Rednern befand sich auch Hilmar Jordan von den soldatischen Verbänden (Kampfgeschwader 55 Greif). Die Einladung des Redners - der für eine Kampftruppe steht, die sich an Verbrechen während des zweiten Weltkrieges beteiligte - durch die Stadt Giessen ist für den Giessener AStA der Justus-Liebig-Universität höchst problematisch.

Historisch gesehen war die Kampfgruppe „Kampfgeschwader 55 Greif“, welche im Jahr 1937 aufgestellt und später nach Giessen verlegt wurde unter anderem beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei 1938 beteiligt und wurde zum Abwurf von Propagandamaterialien eingesetzt. Während des Zweiten Weltkriegs beteiligte sich die Einheit im Rahmen des Einmarschs in Polen und Frankreich und der „Operation Barbarossa“, dem Überfall auf die Sowjetunion. Besonders hervorzuheben ist an diesem Punkt die Mitarbeit an Flächenbombardements auf Conventry, Rotterdam und sowjetische Städte bei denen mehrere tausend Menschen durch die Bomben der faschistischen Kampfverbände ermordet wurden.
Das Gedenken an das Kampfgeschwader ist in Giessen seit Jahrzehnten umstritten. Explizit um das Greifdenkmal an der ‚Licher-Gabel’ gab es in der Vergangenheit immer wieder politische Kontroversen. Bei der Umbenennung des ‚Greif-Denkmals’ im September 2005 in eine Erinnerungsstätte „gegen Krieg, Völkermord, Vertreibung und Gewaltherrschaft“ war der Protest unterschiedlicher, linker Gruppen groß, eine anschließende Debatte wurde in den lokalen Tageszeitungen Giessens geführt. Innerhalb dieser stand immer wieder der Umgang mit dem Gedenken, welcher die Verbrechen des Geschwaders relativiert, im Mittelpunkt.
Nachdem der öffentliche Protest gegen das Greif-Denkmal abgenommen hat und das Thema nicht mehr so stark in den Medien verhandelt wird, tritt nun der soldatische Verband (Kampfgeschwader 55 Greif) wieder mit dem Redner Hilmar Jordan offen in Erscheinung. Eine inhaltliche Abgrenzung zu den Verbrechen des Geschwaders fand nicht statt, wie der Namen der Organisation deutlich zeigt.
Der AStA kritisiert die Einladung zur Teilnahme Jordans an den städtischen Gedenkveranstaltungen. Denn Jordan - der als Vertreter für das „Kampfgeschwader 55 Greif“ angesehen werden kann – wurde von der Stadt und dem Oberbürgermeister Haumann eingeladen. Deswegen gilt die Kritik besonders Haumann, der als Vertreter der Stadt dieses undifferenzierte und verkehrende Gedenken an „die Opfer der beiden Weltkriege“, welches Täter und Opfer in einem Atemzug nennt, zuließ.
Auch wenn diese Veranstaltungen zum Volkstrauertag den Anschein erweckten, dass allen Opfern von Kriegsverbrechen gedacht wurde, bleibt dennoch darauf hinzuweisen, dass durch die Art des Gedenkens Täter und Opfer des Faschismus zusammen benannt werden. Das ist eine höchst problematische Angelegenheit. Denn daraus folgt, dass Täter der Kriegsverbrechen auf die Gleiche Stufe wie Opfer der Flächenbombardements des „Kampfgeschwaders 55 Greif“ gestellt werden.
Das konkrete Gedenken an die Opfer des deutschen Faschismus sollte im Mittelpunkt des Erinnerns an Nazi-Deutschland stehen. Dazu gehören die konsequente Nennung der Verbrechen des Geschwaders und deren Verurteilung, ebenso wie die eindeutige Mahnung gegen Kriegsverbrechen und Militarismus. Aus diesem Grund ist es kritikwürdig, dass an einem solchen Gedenktag ein Redner zu Wort kommt, der einer verbrecherischen Organisation wie dem „Kampfgeschwader 55 Greif“ nahe steht. Denn wenn nur noch Toten und Menschen gedacht wird und Handlungen nicht mehr im Kontext betrachtet werden, folgt daraus schlicht eine Gleichsetzung. Die Opfer werden nachträglich verhöhnt indem sie in einem Atemzug genannt werden mit ihren Peinigern und Mördern, die lediglich die Folgen eines Krieges zu tragen hatten, den sie selber begannen. Keineswegs soll den Angehörigen der letzteren ihre individuelle Trauer genommen werden. Ein Erinnern an die Funktion der Individuen, an ihre Rolle als Soldaten und deren von Verbrechen geprägte Fliegereinheit, und eine damit einhergehende Ehrung durch Erinnerung und Trauer stellt jedoch alles andere als eine eindeutige Distanzierung gegenüber dem Vernichtungskrieg der Nazis dar, ebenso wenig wie ein Bekenntnis zum Antimilitarismus.