31.05.06

Ein paar Worte zu den aktuellen Studierendenprotesten

wir dürfen den Protest nicht an andere abgeben wir müssen selbst aktiv werden. Wir können das zu Tuende nicht an den AStA delegieren, genauso wenig dürfen wir darauf hoffen, dass die in Frankfurt und Marburg die Sache schon zu Recht biegen. Hier scheint sich eine Mentalität an den Tag zu legen, die im schlechtesten Sinne dem entspricht was im universitären Betrieb, in zahlreichen Seminaren und Vorlesungen tagtäglich einstudiert wird: bloß keine eigene Initiative zeigen, den Lehrenden entsprechen wollen und angepasst auf Aufforderung warten was zu tun ist und wo es lang geht. Leistungsdruck und vorauseilender Gehorsam scheinen tief verankert. Kritische Wissenschaft wird mehr und mehr aus den Unis verbannt. Was zwar mit Scheinen belohnt wird, fährt den Karren immer tiefer in den Dreck. Denn der Widerstand gegen die allgemeinen Studiengebühren lebt nicht davon den AStA oder die vereinzelten linken Grüppchen mal machen zu lassen, oder schicke Resolutionen zu verabschieden, die im Grunde eh niemanden so wirklich interessieren; sondern davon den eigenen Arsch hoch zu kriegen und einen ordentlichen Aufstand gegen die Verhältnisse zu starten, der auf vielen Schultern und zahlreichen Ideen steht und nicht nur Ansatzweise mutig und frech ist und mehr als Demonstrationen zu bieten hat.
In Phasen in denen auch auf Studierende immer prekärere Bedingungen zukommen, die jetzt auch zusätzlich noch mit Studiengebühren entlohnt werden, ist die Frage „Warum studieren wir eigentlich noch?“ mehr als Angebracht. Die Bedingungen hier und jetzt und was auf uns nach dem Studium zu kommt sind alles andere als rosig und auch ohne Studiengebühren ist jeder Protest notwendig, aber die Resonanz in Giessen ist noch sehr gering, es wird an dem, im Grunde ohnehin schon armseligen Studium festgehalten.
Leider sind die Proteste weitestgehend auf die eigenen Interessen beschränkt, es gelingt kaum über die Bildungsmisere hinaus zu kommen. So darf es auch nicht verwundern wenn andere benachteiligte Gruppen fernbleiben, „wir sind hier –wir sind laut – weil man uns die Bildung klaut!“ was soll eine Hartz IV Empfängerin oder Flüchtlingsgruppe damit anfangen? Auch die Forderung „Bildung für Alle!“ bleibt zu sehr auf einem gebührenfreiem Studium fixiert, denn würde diese Forderung ernst genommen, müsste sie längst in ein „Alles für Alle!“ umgewandelt werden. Denn nur wenn niemand sozial und ökonomisch marginalisiert ist, läßt sich Bildung für alle realisieren. Die Entwicklung des Kapitalismus, der den Mensch nur als Arbeitskraft kennt, tendiert dazu immer mehr Menschen überflüssig zu machen, die die nicht überflüssig sind haben zum Teil dann noch die Frechheit sich als etwas besseres zu fühlen. Wenn nach französischen Verhältnissen gerufen wird, dann sollte auch so gehandelt werden, also ein Protest unter Zusammenschluss der Ausgeschlossenen und Betroffenen; Mit SchülerInnen, MigrantInnen, Erwerbslosen usw. Ein Protest der eben nicht auf die Sicherung der eigenen Vorteile aus ist. Vielmehr sollten Studiengebühren als ein Teil des ganzen Sozialabbaus verstanden werden und somit auch die Kritik umfassend sein und eine Verbesserung der Bedingungen für alle beinhalten.
Ein weiters Manko der bisherigen Proteste ist die Fixierung auf Roland Koch; natürlich ist es angenehm und vereinfachend ein klares Ziel vor Augen zu haben, aber die Illusion das mit dem Ende der Ära Koch alle Probleme gelöst sind, steckt doch in einigen Parolen und wohl auch in Köpfen drin. Das aber auf das eine Arschloch ein anderes folgt und die reaktionäre Politik nicht originär an diesen liegt, sondern an den Prinzipien des kapitalistischen Systems, sollte zumindest mal gesagt werden. Das soll niemand, vor allem nicht Roland Koch, Udo Corts oder Volker Bouffier aus der Verantwortung für ihre Politik ziehen, denn diese oft genannten „Sachzwänge“ sind meist auch nur Entschuldigungen zur Durchsetzung von bestimmten politischen Interessen und Ideologien. Vielmehr müssen wir gemeinsam diese angeblich durch Sachzwänge nötige Politik angreifen, dafür brauchen wir das breite Bündnis der Betroffenen, denn verändert werden kann die Gesellschaft nur von denen, die in ihr leben.
Die bisherigen Ereignisse haben es gezeigt: die Polizei ist zwar nicht unser Feind, aber auch alles andere als unser Freund, sie stellt sich vor die reaktionären Kräfte, wodurch das Zusammentreffen mit ihr unvermeidlich wird, auch wenn es von uns eigentlich niemand braucht. Zwar verkauft sich die Polizei als nett und kooperativ und bezeichnet die Proteste, wie in Wiesbaden, als „legitim“. Doch sprechen die massive Präsens des Staatsschutzes bei den Demos, das Betreten des Giessener Campus durch Polizei und folgend die Konfiszierung von Transpis sowie die zahlreichen Festnahmen eine andere Sprache. Wenn also die Polizei in Wiesbaden die eigene Friedlichkeit betont, die etwa 2 Stunden zurückliegenden Pfefferspray-Einsätze damit ignoriert, will sie damit vor allem eins bewirken: Die Spaltung der Proteste in friedlich und militant, wobei bereits ziviler Ungehorsam als militant bezeichnet wird, also die Störung der Normalität. Es ist mehr als lächerlich das die Polizei und der Staat bei ein paar kokelnden Mülltonnen und umgerissenen Gittern schreien; Sind sie doch die, die tagtäglich Abschiebungen durchführen, Menschen durch die Sicherheitspolitik, wie im Januar in Giessen, in den Tod jagen, Widerstand gegen Nazis kriminalisieren, Menschen in Armutsverhältnisse (Bsp. Hartz IV) zwingen, uns Studiengebühren aufdrücken und vieles mehr. Die Frage nach friedlich oder nicht wird also vollkommen falsch gestellt und macht auch in diesen Verhältnissen wenig Sinn. Wir dürfen uns nicht spalten lassen, nicht in vermeintlich gut und böse, nicht in friedlich und militant. Weder von den Bullen, noch von uns selbst. Wir müssen unseren Protest als Einen betrachten, egal ob Linke, Studentin, Arbeitsloser, etc, wir müssen miteinander diskutieren und in Aktion treten, auf der Strasse und an der Uni. Was wir brauchen ist ein breiter und entschlossener Protest, er muss nerven und der Regierung wehtun. Die Landesregierung wird auf ein einschlafen der Proteste hoffen, wie in anderen Bundesländern, wir brauchen eine langen Atem und wir müssen es schaffen den studentischen Rahmen zu sprengen.
„Die … Tatsache ist, dass es unter der Voraussetzung, dass der Weltuntergang wieder mal nicht stattfindet, keinen Grund gibt, irgendeine Zukunft mehr zu fürchten als die Gegenwart!“
Wir dürfen nicht auf den Goodwill der Regierenden hoffen, dass sie doch bitte so nett sind und die Studiengebühren zurücknehmen. Es liegt an uns, nicht erbetteln - sondern fordern und erkämpfen!
Gegen so genannte Sachzwänge, gegen Leistungswahn und kapitalistische Verwertungslogik In diesem Sinne: turn Bildung für alle into alles für alle!
Infoladen Giessen / Antifa R4